Akademisches Schreiben im Zeitalter Künstlicher Intelligenz
Der KI-Transfer-Hub SH hat die FH Kiel beim erfolgreichem Förderantrag für eine Pilotstudie zum KI-gestützten Schreiben begleitet.
Domäne
Methode
Gemeinsam mit ihrem Team an der Fachhochschule Kiel möchte Prof. Dr. Doris Weßels Werkzeuge aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz, die auf großen Sprachmodellen basieren, proaktiv in der Lehre nutzen. Die mit 150.000 Euro geförderte KI-Pilotstudie ist ein Novum und hat es in der Form bundesweit noch nicht gegeben.
Zwei Ereignisse waren vor rund drei Jahren für Doris Weßels die Initialzündung, sich tiefer mit dem KI-gestützten Schreiben an Hochschulen zu beschäftigen. „Zunächst erwähnte eine Studierende, dass sie eine Ausarbeitung von einer KI erst ins Englische und danach wieder zurück ins Deutsche übersetzen ließ. Mit dem Ergebnis, dass sie ihren eigenen Text als besser empfunden hatte. Ungefähr zur selben Zeit hatte ich davon erfahren, dass Schulen in den USA für die Bewertung von Aufsätzen auch KI-gestützte Software als eine Art Vorbegutachtung nutzen.“
Auf der einen Seite KI-gestützte Werkzeuge, um Texte zu produzieren, auf der anderen Seite Tools aus dem Bereich des Natural Language Processing (NLP), um Texte besser zu interpretieren und zu begutachten. „Diese zwei Herangehensweisen, dieser Gesamtprozess haben mich fasziniert und nicht wieder losgelassen“, erinnert sich die Professorin für Wirtschaftsinformatik und zweite Vorsitzende der Digitalen Wirtschaft SH (DiWiSH).
Wie sehr werden KI-Agenten wissenschaftliche Arbeiten an Hochschulen verändern? Was ist bereits vorhanden? Und wie sollte die Wissenschaft damit umgehen? Diese und weitere Fragen hatte Doris Weßels bereits auf der ersten KI-Konferenz in Schleswig-Holstein 2018 thematisiert und dabei mögliche Szenarien beschrieben: „Wer Zugriff auf mächtige Sprachmodelle hat, verkörpert sehr viel Macht und kann diese positiv wie negativ einsetzen. Dies sprengt die Vorstellungskraft vieler Menschen in der Gesellschaft und in der Wissenschaft. In meinen Vorträgen waren einige geschockt, welche Welle da auf sie zurollt.“
Ihr selbst erging es nicht anders: „Je tiefer man einsteigt, desto mehr Fragen hat man.. Das Thema hat mich von Anfang an aufgewühlt und mir Faszination und Schrecken gleichermaßen beschert.“ Schon heute ist vieles bereits mit niedrigschwelligen, frei zugänglichen Tools möglich, ein großer IT-Fachverstand ist nicht notwendig. Als Beispiel nennt Doris Weßels das frei zugängliche Tool Text Synth eines französischen Mathematikers: „Ich muss dort nur einen Texteinstieg eingeben. Ein Klick und ich sehe auf dem Bildschirm, wie sich mein Text Schritt für Schritt fortsetzt. Ich bin in einem Live-Prozess der Entstehung eines Unikates. Eine Art schöpferischer Akt, bei dem ich Zeugin bin. Es entsteht ein Text, der mir gefällt, oder auch missfällt, vielleicht sogar irritiert und mich zum Widerspruch einlädt.“
Diese Entwicklung ist für Doris Weßels disruptiv, weil sie vieles infrage stellt: Ist es zum Beispiel überhaupt sinnvoll, dass lange Hausarbeiten oder Literaturanalysen geschrieben werden müssen? „Wir stellen uns grundlegende Sinnfragen. Diese sind aber zielführend und hilfreich, wenn wir im Bildungsbereich über Future Skills nachdenken. Wir müssen stärker reflektieren, das Heft des Handelns in die Hand nehmen und nicht wegsehen wollen, sondern uns den neuen Entwicklungen zuwenden – wohlwissend, dass wir auf die meisten Fragen noch keine finalen Antworten haben.“
Staatssekretär Dirk Schrödter übereichte Förderbescheid über 150.000 Euro
Gesagt, getan: Aus den zahlreichen Fragen und Ideen hat Doris Weßels einen Antrag für das Förderprojekt „Akademische Schreiben im Zeitalter Künstlicher Intelligenz“ formuliert, der auch die Politik überzeugte. Staatssekretär Dirk Schrödter übereichte im November den Zuwendungsbescheid der Landesregierung in Höhe von 150.000 Euro.
Der KI-Transfer-Hub SH war während des Projektantrages vertrauensvoller Begleiter. „Die Zusammenarbeit mit dem KI-Transfer-Hub war positiv und förderlich“, sagte Doris Weßels, „in der Antragstellung war es für mich sehr hilfreich, kompetente Ansprechpartner zu haben, mit denen ich den Antrag inhaltlich diskutieren konnte. All das hat die Qualität des Antrages gesteigert und war hilfreich für die Perspektivenvielfalt des Themas.“
Die Forscherinnen und Forscher wollen jetzt herausfinden, welchen Einfluss KI-Programme auf akademische Arbeiten haben. Das Projekt ist in drei Phasen geteilt: Zunächst erfasst das Studienteam in einer Vorstudie den Umgang mit Plagiaten und Plagiatserkennungssoftware an den Hochschulen des Landes. Anschließend werden Informationsveranstaltungen und Workshops als KI-Schreibwerkstatt angeboten, um daraus Handlungsempfehlungen für Hochschulen zu verfassen. In der abschließenden Projektphase sollen die veröffentlichten Ergebnisse der Studie als Entscheidungsgrundlage für die Digital- und Zukunftsstrategie zum Umgang mit KI-Technologien für akademisches Schreiben dienen.
„In der interdisziplinären KI-Schreibwerkstatt wollen wir über verantwortliches Nutzen von KI-Werkzeugen diskutieren und reflektieren“, erläutert Doris Weßels, „die Teilnehmenden müssen die Tools bewusst anwenden und persönlich erleben, um ein Gefühl für die Vorteile und Risiken zu entwickeln.“ Es gibt sehr hochspezialisierte, leistungsstarke Plattformen für verschiedenste Anwendungsfälle vom automatischen Generieren einer Einleitung oder einer Text-Zusammenfassung bis zum Übertragen in einen anderen Sprachstil. „Diese Tools werfen Fragen auf und rütteln an vielen Stellen an den Grundfesten unseres akademischen Selbstverständnisses“, so Doris Weßels.
Die Positiv-Negativ-Liste der Nutzung von derartigen Plattformen ist laut der Wissenschaftlerin auf beiden Seiten recht lang: „Positiv ist zum Beispiel der Produktivitätsgewinn. Speziell im Marketing müssen immer wieder schnell neue Texte formuliert werden, das kostet Zeit und Mühe. Mit diesen Werkzeugen ist man deutlich schneller und hat eine stärkere Variation. Ich kann aber auch Kreativitätsgewinne erzielen und Schreibblockaden lösen. Ich habe die Möglichkeit, nach Eingabe einer kurzen Textsequenz, ein paar Sätze fortführen zu lassen, was mich dann wieder auf neue Ideen bringt. Dieser spielerische Zugang hat im Bildungsbereich großes Potenzial.“
Die negativen Aspekte liegen ebenfalls auf der Hand – Manipulation, Täuschung, Plagiate bis hin zu inflationärer Textproduktion per Knopfdruck. „Außerdem werden durch die Werkzeuge manche Berufsbranchen gefährdet“, ergänzt Doris Weßels, „zudem besteht die Gefahr, dass die Individualität der Sprache verlorengeht und es einen Hang zu Standardisierungen gibt.“
Ihr Wunsch zum Abschluss des Projektes? „Ein konstruktiv kritischer Umgang mit Prüfungsmethoden und Techniken für den Bildungsbereich. Wie kennzeichne ich was? Welche Art von Prüfung macht Sinn und welche nicht? Wir brauchen auf Dauer rund um die Kennzeichnung der Texte ein anderes Rechtssystem und ein gesellschaftliches Commitment, wie wir damit umgehen.“