Mit KI und Big Data zur Digitalisierung der Meere
Neu im KI-Transfer-Hub SH: north.io aus Kiel entwickelt webbasierte, umweltrelevante Software
Das Kieler Unternehmen north.io – vormals EGEOS – digitalisiert die Ozeane, entwickelt webbasierte, umweltrelevante Software und ist in nur zehn Jahren zum weltweit größten Hub für Munition im Meer geworden. Geholfen haben auf dem Weg dorthin Know-how, Engagement, das richtige Gespür, die Möglichkeiten von Big Data und KI sowie eine Bachelor-Arbeit.
Doch der Reihe nach: Jann Wendt, gebürtiger Dithmarscher, zog es zum Geografie-Studium von der Nord- an die Ostsee nach Kiel. „Das Meer und die Umwelt spielten für mich immer eine große Rolle“, erinnert sich der Geoinformatiker“, aber auch das Interesse, mit räumlichen Daten zu arbeiten sowie die Dimension des Themas Munition in den Meeren. Wir reden allein in Deutschland von vermutlich 1,6 Millionen Tonnen Munition. Damals hatte ich das Gefühl, dass kaum etwas dagegen getan wird.“
Jann Wendt erhielt die Möglichkeit, seine Bachelor-Arbeit beim Kampfmittelräumdienst des Landes Schleswig-Holstein zu schreiben und konnte den KRD davon überzeugen, die eigenen Prozesse durch mehr IT und räumlicher Datenverarbeitung smarter zu machen. Dies war der Startschuss für das Unternehmen EGEOS, das seit diesem September north.io heißt.
„Wir haben 2015 damit begonnen, ein komplett neues webbasiertes System für das gesamte Management beim Kampfmittelräumdienst aufzubauen – eines der modernsten IT-Projekte, die wir derzeit in SH haben. Parallel hatten wir uns überlegt, wie wir mit dem, was wir tun, auch den Themenkomplex Munition im Meer unterstützen. Das Thema war damals weder politisch en vogue noch wirtschaftlich relevant. Also haben wir es selbst mitentwickelt.“
north.io hat den Nerv der Zeit getroffen
Künstliche Intelligenz spielte zunächst keine Rolle. Das änderte sich vor rund fünf Jahren. „In die KI-Technologie sind wir über die gesamte Entwicklung im IT-Umfeld hineingerutscht“, erinnert sich Jann Wendt und ergänzt, „KI ist ein wirkungsvolles Werkzeug im Portfolio der Programmierer geworden, eine mächtige Methodik im Baukasten, die du benötigst, um smarte Informatik zu machen – neben Front End, Datenbanken, oder Big Data Processing. Mit KI und maschinellem Lernen lassen sich Projekte jetzt schneller, effektiver und genauer durchsetzen.“
Um dem Thema Munition im Meer auf den Grund zu gehen, hat north.io bis heute bei einem mit der WTSH geförderten Projekt rund 250.000 historische Dokumente mithilfe von KI-Algorithmen aufbereitet. Und so funktioniert es: Die Deep Learning-KI von north.io macht zunächst ein Cleaning vom komplexen historischen Dokument. Im zweiten Schritt erkennt eine OCR - Optical Character Recognition – die Wörter. Dem folgt eine KI, welche die Key Words aus dem Dokument holt und in ein Event überführt – zum Beispiel ein damaliger Luftangriff auf die Eckernförder Bucht, bei dem ein Schiff schwer beschädigt worden ist. Dieses Ereignis wird im letzten Schritt auf eine Karte gebracht und das Dokument dadurch geografisch verortet.
Mit seinen Methoden und Projekten hat north.io den Nerv der Zeit getroffen. „Unser Projekt und unsere Ideen sind viel größer geworden, als wir es uns in unseren kühnsten Träumen erhofft hatten“, sagt Jann Wendt. Das Projekt der Aufbereitung von historischen Daten hat es bis in die Tagesthemen geschafft. Und zur von north.io organisierten internationalen Fachtagung „Munition Clearance Week“ trafen sich im September in Kiel Landes-, Bundes- und EU-Politiker, NATO- und Wirtschaftsvertreter.
north.io selbst ist parallel in vier maritimen Forschungsprojekten involviert. Beim internationalen DAIMON Projekt zum Beispiel ist eine KI entwickelt worden, um Munitionsrisiken in der Ostsee zu ermitteln. Ein weiteres KI-Projekt beschäftigt sich damit, welches Risiko von Schiffswracks ausgeht und wird ebenfalls in die north.io-Applikation integriert. Und gemeinsam mit dem GEOMAR sowie belgischen Kollegen sitzt das Kieler Unternehmen daran, das Thema Big Data Analysen für Munitionsräumung weiterzubringen.
MARISPACE-X bedeutet eine neue Art der digitalen Zusammenarbeit
„Wir wollen die weltweit größte Schnittstelle für die Munitionsauffindung und -räumung im Meer sein“, fasst Jann Wendt zusammen, „dafür sammeln wir Daten über die ganze Welt verteilt.“ Denn: Munition ist kein deutsches Problem, sondern ein weltweites, In der Nord- und Ostsee ebenso wie im Mittelmeer oder vor der australischen und japanischen Küste.
Eine Intention des Unternehmens ist es, über die eigene Plattform die Öffentlichkeit zu informieren, ohne zu interpretieren. north.io stellt Basisinformationen frei zur Verfügung. „Über eine Professionalisierung und Fachleute, die aus der ganzen Welt zu uns nach Kiel kommen, bauen wir weiter Know-how auf“, sagt Jann Wendt. Mittlerweile sind es 40 Mitarbeitende aus 17 verschiedenen Nationen – in drei Unternehmen: Aus der damaligen EGEOS ist 2019 in Folge eines EU-geförderten Projektes die True Ocean entstanden. Der weitere Spin-off NatureConnect ist in Zusammenarbeit mit der Stiftung Natur im Norden ins Leben gerufen worden. Dessen Ziel: Software as a Service für Natur und Klimaschutz.
Munition im Meer ist zweifellos das Aushängeschild von north.io, das allumfassende Big Picture. Dabei ist das Unternehmen auch im KI-Bereich breit aufgestellt. „Wir machen eine webbasierte Software zu umweltrelevanten Themen und arbeiten unter anderem zum Thema maritimes Plastik oder wollen mit der Landwirtschaftskammer den Schwerpunkt Überdüngung angehen. In einem True Ocean Projekt geht es zudem um die KI-Nutzung für Schifffahrtsrouten-Optimierung und Treibstoff-CO2-Einsparungen.
Vorläufiger Höhepunkt für Jann Wendt und sein Team ist das Projekt MARISPACE-X, welches sich kurz gefasst nichts weniger als die Digitalisierung des Ozeans zum Ziel gesetzt hat und die gesamten Daten der maritimen Domäne zentral verfügbar machen möchte. Das Projekt ist eingebettet in die europäische digitale Infrastrukturinitiative Gaia-X und wurde diesen Sommer vom Bundeswirtschaftsministerium aus mehr als 130 Anträgen ausgewählt. Das von north.io koordinierte MARISPACE-X gehört damit zu den 16 Leuchtturmprojekten aus Deutschland im GAIA-X-Kosmos. Im Rahmen des Projektes soll eine neue Art der digitalen Zusammenarbeit in der Meeresforschung realisiert werden – durch die Entwicklung eines intelligenten maritimen Data Space im Kontext von Edge-, Fog- und Cloud-Computing. Das Projekt hat ein Gesamtbudget von rund 15 Millionen Euro und soll im Januar 2022 starten.
Auch durch north.io sind die wirtschaftlichen Chancen für den Standort Kiel und Schleswig-Holstein in puncto Meerestechnik ebenso groß wie bei der Digitalisierung und der KI-Entwicklung. Die Landesregierung hat dies erkannt, die WTSH begleitet bei der Förderung und der KI-Transfer-Hub mit seinem Netzwerk der Künstlichen Intelligenz.
north.io GmbH
Einsteinstraße 1, 24118 Kiel
Telefon: +49 431 363 054-0
E-Mail: contact@north.io
https://north.io