Seevögel und Meeressäuger mit KI effizient erfassen
KI-Transfer-Hub SH hat BioConsult SH aus Husum beim geförderten Projekt „Kiek Ma“ begleitet.
Wenn die Biologen von BioConsult SH für Behörden, Naturschutzverbände oder die Windparkindustrie in die Flugzeuge steigen, um Seevögel zu zählen, erfassen sie bis zu 40.000 Exemplare – pro Tag. Die Auswertung der Luftbilder erfolgt manuell. Noch. Denn mit Unterstützung von KI-Technologien und der Förderung durch die Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein wird das Unternehmen aus Husum zeitaufwändige Arbeitsprozesse automatisieren. Der kurze Name für das ambitionierte Projekt: Kiek Ma.
Dr. Georg Nehls ist Vollblutbiologe, der die Feldforschung liebt. Technische Zusammenhänge interessierten den heutigen Geschäftsführer des ökologisches Forschungs- und Consultingbüros BioConsult SH zu Beginn seiner Arbeit zunächst wenig: „Ich habe 1998 angefangen, Muschelbänke in der Nordsee zu kartieren. Die elektronische Neuerung, die wir damals hatten, war, dass ich ein GPS-Handgerät benutzen konnte“, erinnert sich Nehls, „da hatten wir etwa 400 Meter Genauigkeit in der Standortbestimmung. Bei Muschelbänken ist das nicht ausreichend. Dann kam ein Differenzialempfänger im Rucksack hinzu und ich bin mit Mopedbatterie durchs Watt gelaufen. Die Positionsgenauigkeit lag bei 50 bis 100 Metern. Keine wusste das so genau.“
Nach und nach hatte sich die digitale Welt für Dr. Georg Nehls und BioConsult SH weit geöffnet. GPS-Daten konnten mittlerweile direkt ins geografische Informationssystem übertragen und Satelliten- oder Luftbilder mit einbezogen werden. „Bei uns im Unternehmen ist die Digitalisierung sehr breit angelegt. Wir begannen, Auswertungsroutinen für die vielen Daten, die wir erheben, zu implementieren, damit wir nicht länger Daten von Hand hin und her schieben müssen. Die jüngere Generation beherrscht zudem verschiedenste statistische Analysen, die ihnen die Daten sortieren und einem die Plausibilität der Daten erleichtern.“
Die Grundlage für den Einsatz von KI-Technologien war bei BioConsult SH gelegt. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen rund 120 Mitarbeitende, darunter auch sechs KI-Programmierer, die den Umgang mit großen Datenmengen gewohnt sind.
Um die KI zu trainieren, werden 250.000 Bilder aufbereitet.
Flugzeugzählungen zur Erfassung von Seevögeln und Meeressäugetieren gehören zum Kerngeschäft für Bioconsult. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten liegt dabei auf Umweltverträglichkeitsstudien und Forschungsvorhaben. Die Erfassungen erfolgen mit hochauflösenden Videosystemen, die bisher aber noch manuell ausgewertet werden.
„Wir haben Flüge auf der Ostsee, wo wir an einem Tag 30.000 bis 40.000 Vögel erfassen. Da geht ein enormer Arbeitsaufwand hinein“, sagt Projektmanagerin Anna Kersten. „Hinzu kommt, dass es nicht leicht ist, Fachpersonal zu finden, das die Arten identifizieren kann und das ganze Jahr über verfügbar ist.“ Die Teams kommen an Grenzen der Auslastung. „Von der Zählung bis zur Lieferung der Daten können bis zu fünf Monate vergehen“, ergänzt Dr. Georg Nehls, „die Kunden möchten die Daten möglichst schnell haben, um eventuelle Probleme zu rechtzeitig angehen zu können. Für uns es notwendig, den Aufwand zu reduzieren und Informationen schneller verfügbar zu machen.“
So entstand die Arbeit am Projekt „Künstliche Intelligenz zur Klassifikation Mariner Arten“ – kurz: Kiek Ma. In dem Projekt werden mit KI-Methoden Algorithmen für die automatische Erkennung und Bestimmung von Objekten auf der Wasseroberfläche entwickelt. Hierzu können die Wissenschaftler von BioConsult SH auf riesige Mengen von Trainingsbildern zurückgreifen, die sie in den Jahren zuvor bei Flügen über der Nord- und Ostsee gewonnen haben. „Wir haben angefangen, die technischen Möglichkeiten auszuloten, um zu sehen, ob der KI-Einsatz Sinn macht“, erläutert Anna Kersten. „Sehr schnell wurde deutlich: Es ist erfolgsversprechend.“ Dafür hat sich der Aufwand gelohnt, insgesamt rund 250.000 Trainingsdaten aufzubereiten. Die KI lernt anhand der Trainingsdaten, die Tiere selbständig zu finden und zu identifizieren.
„Die automatische Bildverarbeitung ist für uns eine sehr wichtige Entwicklung, die uns dabei helfen wird, ökologische Erfassungen auf dem Meer in größerem Umfang als bisher durchzuführen und dazu beitragen, dass ökologische Veränderungen schneller und präziser erkannt werden können“, sagt Dr. Georg Nehls.
Das Projekt Kiek Ma wird mit 179.000 Euro gefördert
Im Zuge des Projektes und der Begleitung durch den KI-Transfer-Hub SH um Philipp Stormer, Innovationsberater bei der WTSH, ist Anna Kersten auch auf die Möglichkeiten der KI-Richtlinie gestoßen. „Die Unterstützung durch den KI-Transfer-Hub und die WTSH war sehr positiv. Wie erhielten Support, wie das Projektformulierung gut formuliert wird und welche Formulare noch eingereicht werden mussten. Die Hilfsbereitschaft war groß, die Kommunikation zügig. Es entstanden keine Lücken im Arbeitsprozess.“
Der Projektantrag hatte auch die Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein überzeugt. Digitalisierungsminister Dirk Schrödter überreichte dem Team im September den Zuwendungsbescheid in Höhe von 179.000 Euro (Mehr zur Zuwendungsbescheid-Übergabe lesen Sie hier).
„Die Förderung federt den Aufwand enorm ab. Wir können damit mehr Personal einstellen und die technische Infrastruktur ausbauen“, so Nehls. Das Projektziel: Ehemals manuelle Prozesse der Detektion und Identifikation von Tieren jetzt zu automatisieren. „Wir werden aber nicht alles der Künstlichen Intelligenz übergeben. Die KI übernimmt 80 bis 90 Prozent der Arbeit, wodurch wir den Prozess erheblich beschleunigen und verbessern können.“ Die Fachleute von BioConsult SH bleiben intensiv in der Qualitätssicherung einbezogen. Durch automatische Datenauswertung hat das Personal zudem mehr Zeit für neue Projekte.“
„Unser Anspruch ist es, möglichst gute Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Die Anforderungen der Energiewende und des Klimaschutzes sind uns gleichbedeutend“, sagt Dr. Georg Nehls. „Wir haben in den Projekten der Onshore- und Offshore Windenergie immer auch Forschungsvorhaben abseits der eigentlichen Fragestellungen mit eingeworben, um grundlegende Probleme auch vertieft untersuchen zu können.“ So schafft BioConsult eine gute Grundlage, um Interessen gegeneinander abzuwägen und beide Seiten zu ihrem Recht zu verhelfen.
„Uns freut es sehr, dass wir durch unsere Arbeit einen Beitrag zur Energiewende zu leisten“, fasst Anna Kersten zusammen. „Wir liefern gute Entscheidungskriterien auch über die Auswirkungen der Windkraft. Denn: So schnell wir die Klima- und Energiewende voranbringen wollen, so wichtig ist es gleichermaßen, die möglichen Auswirkungen für die Tierwelt zu überwachen, zu beobachten und mit höchsten wissenschaftlichen Standards auszuwerten. So sind wir in der Lage, für alle beteiligten Institutionen und Unternehmen, die sich mit der Energiewende beschäftigen, ansprechbar zu sein.“
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