Mit KI die Nadel im Heuhaufen finden
Gemeinsames Projekt von SWKiel Netz GmbH und Fachhochschule Kiel zur Anomalie-Erkennung in der Fernwärme
Über 73.500 mit Fernwärme versorgte Haushalte und Unternehmen, 370 Kilometer Leitungsnetz, rund 60 Millionen Liter vollentsalztes Wasser im System, sechs Heizkraftwerke, darunter das noch junge Küstenkraftwerk auf dem Ostufer der Landeshauptstadt – diese Zahlen stehen für ein großes, sicheres und energieeffizientes Versorgungssystem der Stadtwerke Kiel AG.
Fernwärme gilt als klima- und umweltschonend. Der Ausstoß von CO2 und Schadstoffen ist erheblich geringer als bei vergleichbarer Nutzung von Einzelfeuerungsanlagen mit Öl oder Gas. Hinzu kommen geringere Wartungs- und Betriebskosten sowie die Platzersparnis in den eigenen vier Wänden.
Doch was passiert bei einem Trinkwassereintrag ins Fernwärmenetz? Wie kann dieses Leck ebenso präzise wie frühzeitig geortet werden? „Bislang handelt es sich um die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Peer-Jorge Schmidt, Projektingenieur bei der SWKiel Netz GmbH – der Netzgesellschaft der Stadtwerke Kiel AG, „an zentralen Knotenpunkten des Fernwärmenetzes sind Fühler angebracht, man kann aber nicht überall die Wasserhärte messen. Im Extremfall müssen unsere Techniker ganze Stadtteile abfahren und einzelne Wohnungen nach Löchern in den Wärmetauschern überprüfen. Das kann Tage oder Wochen dauern. Diese Herausforderungen wollen wir mit intelligenten Lösungen und Zukunftstechnologien angehen.“
Denn ein Frischwasser-Leck erhöht automatisch den Wasserverbrauch und zugleich den Kalkgehalt im Fernwärmenetz. Peer-Jorge Schmidt dazu: „Alles, was ins Fernwärmenetz gelangt, geht früher oder später durchs Nadelöhr unserer zentralen Kraftwerke. Kalkhaltiges Wasser kann sich dort absetzen und zum Beispiel die Wärmetauscher schädigen.“
Im Küstenkraftwerk sind es allein 180 Wärmetauscher, die das kalte Wasser für den Heizungs- und Trinkwassergebrauch erwärmen. Unnötige Schäden müssen vermieden werden, um die Wartungskosten gering zu halten.
KI-Methode bietet Chancen zur realen Anomalie-Erkennung
Die Zusammenarbeit mit dem KI-Labor der Fachhochschule Kiel ermöglichte es der SWKiel Netz GmbH, als Betreiber des Fernwärmenetzes, eigene Erfahrungen mit dem Know-how der Data Science zu verknüpfen. Im Rahmen eines sogenannten Application-Projects machten sich Sina Scholz, Master-Studierende in Data Science und KI-Projekt-Managerin, sowie Mitstudent Konstantin Antonenko im KI-Labor daran, einen Algorithmus aufzubauen, um Anomalien in der Fernwärmeversorgung erkennen zu können.
„Wir standen vor den zentralen Fragen, wie sich Daten verhalten, wenn ein Fremdwassereintritt stattfindet, und welche verschiedenen Methoden im Machine Learning sich zur Anomalie-Detektion eignen“, erläutert Sina Scholz, „wir haben recherchiert, Daten erkundet und uns dabei auf eine spannende Reise begeben.“ Diese Reise wurde unterstützt durch einen agilen Arbeitsprozess mit regelmäßigem Austausch zwischen der SWKiel Netz GmbH und der Fachhochschule Kiel unter der Betreuung von Prof. Dr. Michael Prange, Leiter des KI-Labors der FH Kiel.
Sina Scholz und Konstantin Antonenko gestalteten mithilfe von verschiedenen Methoden ein theoretisches Modell für den Fremdwassereintrag sowie Clustering-Verfahren zur Einschätzung von Daten und das sogenannte Schiebefenster-Verfahren, um durch festgelegte Zeitfenster relevante Parameter überprüfen zu können. Rund 1,3 Millionen Daten wurden im Verlauf aufbereitet und analysiert. „Die Herausforderungen waren dabei nicht die Menge der Daten, sondern vielmehr die Vollständigkeit der Messwerte sicherzustellen und die Tatsache, dass jede Messstelle ihre individuellen Eigenschaften besitzt“, ergänzt Sina Scholz
Der Aufwand hat sich gelohnt. Die synthetisch erzeugte Anomalie konnte durch die KI-Methoden erfolgreich detektiert werden. Dies bietet neue Chancen zur realen Anomalie-Erkennung im Kieler Fernwärmenetz. Erkenntnisse aus dem Projekt ergänzen den offenen Funkstandard „Long Range Wide Area Network“ (LoRaWAN), den die Stadtwerke Kiel kontinuierlich in Kiel und Umgebung flächendeckend zur Abfrage und dem Austausch von Sensordaten ausbaut.
„Wir haben als Unternehmen durch die Zusammenarbeit dazugelernt und wollen KI-Algorithmik in bestehende Systeme integrieren“, bilanziert Peer-Jorge Schmidt, „maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz bieten ein großes Potenzial, um auch im Bereich der Fernwärme ökologisch noch nachhaltiger und zugleich wirtschaftlich effektiver zu sein.“
Weitere Informationen zum KI-Labor der Fachhochschule Kiel lesen Sie hier.